Eine theatrale Annäherung an die Lebensgeschichte Otto Teuschers durch die Theatergruppe »Durchgespielt« des Familienzentrums Neustrelitz
von Martina und Klaus Herre, Leiter der Theatergruppe »Durchgespielt«
Am Anfang stand eine Begegnung von Martina und Klaus Herre, den Theatergruppenleitern im August 2012: »Wir stehen mit einem Kuchenpaket vor Otto Teuschers Tür. Auf seinem Balkon verbringen wir einen langen erzählintensiven Nachmittag. Herr Teuscher ist bereit, uns aus seinem Leben als Jugendlicher zu erzählen. Zunächst hören wir einfach nur zu. So langsam zeichnet sich eine Geschichte ab, die uns sehr interessiert.« Diese Geschichte erzählte Herr Teuscher später den Jugendlichen der Theatergruppe. Sie konnten Fragen stellen und näherten sich so dem Thema.
Ziel des Theaterstückes war es, die Verführbarkeit junger Menschen für den Krieg zu zeigen. Um diese Geschichte Otto Teuschers in Szene zu setzen, wurde intensiv nach einer geeigneten Form für das Spiel gesucht. Es sollte kein Stück entwickelt werden – vielmehr eine Art szenische Lesung. Johannes, 16 Jahre alt, spielte den sechzehnjährigen Erich. Die anderen Spieler agierten aus einem »Erzählkreis«, aus dem die Impulse und die anderen Figuren entstanden. Ein Jugendlicher drehte mit einer Kamera kleine Filmsequenzen, die in einzelnen Situationen eingespielt wurden, um eine Stimmung zu unterstützen. So wurde zum Beispiel eine Straße mit Kopfsteinpflaster eingespielt, um seine Reise mit dem LKW nach Bad Sülze zu zeigen. Zur Erarbeitung gehörte auch ein Besuch im Stadtarchiv. Dort las die Gruppe in Originalzeitungen aus den letzten Tagen vor dem Einmarsch der Roten Armee in Neustrelitz. Mit dem Artikel »Ein Wort an die Neustrelitzer« und verschiedenen Annoncen aus den letzten Kriegstagen begann das Spiel.
Während der Probenarbeit wurden nicht nur historische Begebenheiten betrachtet, sondern die Gruppe beschäftigte sich auch immer wieder mit Bezügen zur Gegenwart. Was geschah und was geschieht heute? Schnell stand die Frage im Raum, warum der Krieg geschehen konnte. So wurde es für alle Personen der Gruppe wichtig, sich selbst zu hinterfragen: Wie verhalte ich mich in Situationen, in denen ich nicht wegschauen darf? Martina und Klaus Herre schreiben dazu: »In Neustrelitz wurden genau zu dieser Zeit Stolpersteine beschädigt, was uns alle besonders berührte. Deshalb wollten wir unser Ergebnis mit Berichten aus der heutigen Zeit beenden, in denen über Hakenkreuzschmierereien in Mecklenburg-Vorpommern und über die NSU-Morde berichtet wurde, aber auch über die Tatsache, dass Jugendliche vom Gymnasium Carolinum in Neustrelitz Patenschaften für die Stolpersteine übernommen haben.«
Die Geschichte des Stückes soll nun kurz erzählt werden:
Erich, ein Hitlerjunge aus Neustrelitz wird in den letzten Kriegstagen zu einem Wehrertüchtigungslager der SS nach Bad Sülze einberufen. Da die russische Armee immer näher rückt, sind plötzlich alle SS-Ausbilder weg. Jeder ist auf sich selbst gestellt. Er nimmt sich ein Gewehr und 1.000 Schuss Munition und macht sich, bekleidet mit einem SS-Hemd, auf den Weg. Per Anhalter fährt er zunächst nach Rostock. Dort wird er von einer Familie aufgenommen und bringt sie durch das Gewehr, die Munition und das SS-Hemd in Gefahr. Wie geht es weiter? Die russische Armee macht einen Kordon um Rostock. Er muss weg, endlich wieder nach Hause. Aber wie kommt er nach Neustrelitz? Es fährt kein Zug, kein Bus. Ausgangssperre, Flüchtlingsströme überall und immer zieht die Angst mit, wie es den Eltern in den letzten Tagen ergangen ist. Man hört Schlimmes. Leben seine Eltern noch? Gibt es das überhaupt noch, sein Zuhause?
Sich spielerisch solchen Erfahrungen zu nähern, die nicht die eigenen sind, ist für Jugendliche eine Möglichkeit, sich emotional mit fremden Situationen auseinanderzusetzen. Ein spannender Prozess, den die Jugendlichen (13 bis 16 Jahre) in ihren eigenen Rückmeldungen widerspiegeln:
Johannes: »Die Geschichte von Herrn Teuscher hat mich sehr bewegt. Ich hätte ihm noch stundenlang zuhören können, weil es sehr spannend, aber zugleich auch traurig und bewegend war. Wir konnten es uns gar nicht vorstellen, wie es früher war, bis wir versucht haben, die Geschichte nachzuspielen. Dabei wurde uns einigermaßen klar, wie sich die Leute damals gefühlt haben müssen, nur herum geschubst und kommandiert zu werden. Ich konnte es mir kaum vorstellen. Das, was wir spielten, musste Herr Teuscher 1945 alles alleine durchstehen.«
Martin: »Die Geschichte von Herrn Teuscher war sehr bewegend. Es war zum einen erschreckend, was er alles durchmachen musste. Aber es war auch erstaunlich und faszinierend, wie ihm manche Menschen in dieser schwierigen Zeit geholfen haben. Bei den Proben konnte man sich immer mehr in die Geschichte hineinversetzen.«
Paulina: »Ich fand es eine neue Erfahrung. Es war dieses Mal viel schwerer als sonst beim Theaterspiel, da das alles wirklich passiert ist und unsere Bezugsperson bereit war, uns immer mehr zu erzählen. So mussten wir uns immer wieder überlegen, was ist der Kern in der Szene, wo könnte man was einbauen, was ist überflüssig …
Ich fand es aber auch gut und wichtig, wie wir den Übergang von damals zu heute hinbekommen haben. Das zeigt, wie krass diese Zeit noch jetzt auf uns wirkt und wo heute Gefahren bestehen.«
Alma: »In manchen Momenten war ich kurz vor den Tränen. Ich bin gerade echt schockiert von dieser Brutalität der Offiziere. Der Hund in unserer Geschichte ist echt das einzig Lustige an diesem Stück. Max, wie du den Offizier gespielt hast, das macht mir Angst.«
Max: »Krieg. Was ist das? Wir kennen es nicht. Es war für alle etwas ganz besonderes, denn alles was wir gespielt haben, ist in der Realität wirklich passiert. Für mich persönlich war es eine wirklich spannende und zugleich schwierige Aufgabe, den SS-Offizier zu spielen. Ich glaube, dass wir uns gut in die Lage hineinversetzen konnten, aber dennoch können wir es nicht wissen, wie es genau war und was es heißt, im Krieg zu leben. Welch ein Glück für uns …«