»Case Not Closed.«

Eine Spurensuche zu Berliner Jüdinnen*Juden mit türkischer Staatsangehörigkeit

Das Projekt »Case Not Closed. Eine Spurensuche zu Berliner Jüdinnen*Juden mit türkischer Staatsangehörigkeit« ist eine Kooperation des Anne Frank Zentrums (Berlin) mit der Türkischen Gemeinde in Deutschland und SEHAK (Istanbul).

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»Als ich überhaupt gehört habe, es gibt das Projekt »Case Not Closed«, es beschäftigt sich mit türkischen Jüdinnen und Juden, dachte ich: Warte, ist das ein Rechtschreibfehler?«  Mahmoud – Projektteilnehmer aus Berlin

Vor etwa einhundert Jahren lebten Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit in Berlin. Ein großer Teil dieser Menschen war jüdisch. Viele von ihnen arbeiteten im Teppich- oder Tabakgeschäft. Ein wichtiger Treffpunkt für den Zusammenhalt der Gemeinde war der Israelitisch-Sephardische Verein, der ab 1915 auch eine Schule betrieb. Diese türkischen Jüdinnen*Juden wurden im Nationalsozialismus verfolgt und in Konzentrationslager verschleppt, z. B. nach Ravensbrück in Brandenburg und nach Buchenwald in Thüringen. Viele dieser Menschen wurden ermordet, aber einige wenige wurden aus den Lagern befreit. Sie gelangten teilweise in die Türkei, wo sie jedoch nicht bleiben durften und lebten dann in verschiedenen Ländern.

Im Projekt »Case Not Closed« recherchierten Jugendgruppen aus Thüringen, Berlin und Istanbul von 2021 bis 2022 die Lebensgeschichten von Familien, die bis 1943 in Berlin lebten, jüdisch waren und eine türkische Staatsangehörigkeit hatten. Die Spurensuche will dazu beitragen, diese Lebensgeschichten sichtbarer zu machen, den Ermordeten und Verfolgten zu gedenken und sich mit Rassismus und Antisemitismus früher und heute auseinanderzusetzen. Aus den Recherchen entstanden Videoporträts von den Familien Dingenthal, Jacobsohn, Singer und Vitalis. In der Türkei entwickelten die Jugendlichen einen Kurzfilm zu Antisemitismus und Erinnerungskultur in Istanbul.

Projektvideos der Jugendlichen

Workshops ab 2023

Ab Herbst 2023 werden Workshops für Jugendliche in Thüringen und Berlin angeboten, um die Lebensgeschichten bekannter zu machen und die Erkenntnisse auch anderen zur Verfügung zu stellen. Die bereits seit Projektstart beteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen begleiten die Workshops als Peer Guides und geben anderen jungen Menschen einen Einblick in ihre Recherche-Ergebnisse und ihre Auseinandersetzung während des Forschungsprozesses.

Das Folgeprojekt wird in Kooperation mit der Türkischen Gemeinde in Deutschland umgesetzt und von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert.

Projektvideo von SEHAK

In diesem Dokumentarfilm diskutieren Teilnehmer*innen aus Istanbul über Antisemitismus in seinen historischen und aktuellen Erscheinungsformen sowie über die verschiedenen Umgangsweisen mit Jüdinnen*Juden in der Türkei.

Im Projekt »Case Not Closed« suchte die Gruppe aus der Türkei nach Spuren zu der Geschichte von 25 jüdischen Menschen, die die türkische Staatsbürgerschaft besaßen und während des Holocaust in Berlin lebten. Fast ein ganzes Jahr lang suchten die jungen Teilnehmer*innen des Projekts nach Spuren dieser 25 Personen, um zum Gedenken von Jüdinnen*Juden mit türkischer Staatsangehörigkeit beizutragen. Manche dieser Jüdinnen*Juden wurden in den Konzentrationslagern Buchenwald und Ravensbrück ermordet und manch anderen gelang es, aus Deutschland in die Türkei zu entkommen. Sie schafften es nach Istanbul, doch der türkische Staat erlaubte ihnen nicht zu bleiben. Bis sie Genehmigungen für die Weiterreise in andere Länder erhalten haben, waren sie inhaftiert.

In den Archiven der türkischen Zeitungen sind keine Informationen über diese Menschen zu finden, als hätten sie nie existiert. Daher entschied sich die Gruppe für einen anderen Weg, um die Geschichte der 25 Personen zu erforschen und erzählen, nämlich die Methode des Memory Walk - eine innovative pädagogische Filmmethode, die junge Menschen dazu anregt, historische Fakten in ihrem Lebensumfeld kritisch zu reflektieren. Bei diesem Memory Walk lernten die Jugendlichen, Interviews zu historischen Fakten zu führen und verschiedene Interpretationen dieser Fakten in der heutigen Gesellschaft für sich selbst und für ihre Communities zu untersuchen. Sie arbeiteten gemeinsam an der Erstellung dieses Filmes über türkische Jüdinnen*Juden und Antisemitismus und setzten sich mit den damit verbundenen Kontroversen und Diskussionen auseinander.

Für diesen Film verbrachten die Teilnehmer*innen des Projekts drei Tage mit Interviews und Dreharbeiten auf den Straßen Istanbuls. Sie interviewten nicht nur Menschen auf der Straße, sondern führten auch Gespräche mit Expert*innen, Historiker*innen und Zeitzeug*innen, um mehr zu erfahren. Mit all diesen Informationen suchten sie nach Antworten auf die folgende Frage: Wie war die türkische Ideologie und Haltung gegenüber Jüdinnen*Juden in der Vergangenheit und heute?

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Ein Blick zurück: Der Projektverlauf 2021-22

Das Anne Frank Zentrum führte das Projekt »Case Not Closed. Eine Spurensuche zu Berliner Jüdinnen*Juden mit türkischer Staatsangehörigkeit« in Kooperation mit der Türkischen Gemeinde in Deutschland und SEHAK in Istanbul durch.

Die Teilnehmenden beider Länder trafen sich in Berlin und Istanbul sowie online und tauschten sich aus. In Seminaren besuchten die Teilnehmer*innen die ehemaligen Wohnorte der Familien sowie die Gedenkstätten der Konzentrationslager Ravensbrück und Buchenwald, in die die Familien verschleppt wurden. Sie lernten über den Nationalsozialismus und setzten sich mit Formen des Gedenkens an die Ermordeten und Verfolgten in Deutschland und der Türkei auseinander. Die Teilnehmer*innen versuchten, die Wege der Überlebenden nachzuvollziehen und reflektierten die Kontinuitäten von Rassismus und Antisemitismus bis in die heutigen Gesellschaften. Die Jugendlichen wurden von Multiplikator*innen begleitet, für die während der Projektlaufzeit eine eigene Fortbildungsreihe umgesetzt wurde.

Es berät Sie gern

Christine Wehner
Bereichsleiterin Entwicklung – Neue Lernformate
Tel.: 030 288 86 56-37
E-Mail: wehner[at]annefrank.de

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